Chronologie der Krise

Wie aus einer Immobilienblase eine Weltwirtschaftskrise wurde…

Deutschland: „Viele Sparkassen im Land sind faktisch pleite“…

Posted by hw71 - 10. April 2009


Auf die Sparkassen habe ich schon seit einiger Zeit ein Auge, denn die Entwicklung bei den Landesbanken – bei denen die Sparkassen ihre Finger mit im Spiel haben – ist bedenklich, wie die Beispiele BayernLB oder HSH Nordbank zeigen…

Gefunden bei zeit.de:

DIE ZEIT, 26.03.2009 Nr. 14

Finanzkrise

Kassensturz auf dem Dorf

Von Arne Storn
Sie waren die Helden der Krise – jetzt müssen die ersten Sparkassen gestützt werden. Und die großen Verluste durch Kreditausfälle kommen erst noch

Chiffon, die Taschen fürs Besteck sind aus Chiffon. Grob ist der Stoff, durchsichtig und hellgrün. Wie die Vorhänge, wie die Wände. Rosa ist die zweite Farbe, die das Restaurant in Neumünster prägt, vom T-Shirt der Bedienung bis zur gemalten Lotosblüte an der Wand.

»Ich bin sauer«, sagt Wang Xue. Der Name ist geändert, aber sie ist wirklich 40 Jahre alt und lebt schon lange in Neumünster, dies ist ihr Restaurant, ihre Idee bis ins Detail. Unter ihrer rosa Jacke trägt sie ein rosa T-Shirt. Dazwischen ein hellgrünes Halstuch. Viele Gäste seien seit der Eröffnung am 13. März da gewesen, erzählt sie, und sie habe Lob bekommen für das schicke Interieur und ihre fernöstlichen Gerichte, keines teurer als 7,80 Euro.

Die Banken waren nicht begeistert, berichtet Wang Xue. Sie habe die Sparkasse Südholstein nach Kredit gefragt, ihr Konzept eingereicht und gewartet, eine Woche, zwei Wochen. Schließlich sei die Absage gekommen: Mit Gastronomie habe man schlechte Erfahrungen gemacht. »Ich wollte doch nur 20.000 Euro«, klagt Wang Xue, die am Ende ihre Lebensversicherung kündigte, um zu investieren. »Warum muss das so schwer sein?«

Infografik Sparkassen (klicken für größere Darstellung)

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Mario Porten erklärt: »Wir hätten in den vergangenen Monaten besonders im Bereich der Großkredite neue Kunden gewinnen, zusätzliches Geschäft machen können.« Aber der Vorstandschef der Sparkasse Südholstein mit Sitz in Neumünster hat Geschäfte von mehreren Hundert Millionen Euro nicht gemacht. Er blinzelt hinter seiner randlosen Brille, schweigt kurz, fast scheint es, als ob er seinen Worten selbst kaum glauben kann. Die Sparkasse als Bank der kleinen Leute, das rote S als Baustein der Gemeinschaft – diesem Ideal fühlt er sich verpflichtet. 41 Jahre ist Porten alt und schon 23 Jahre dabei. Südholstein ist seine vierte Station, er ist der Chef, ein Mann wie ein großer Junge, Borstenschnitt, sparkassenrote Krawatte. Sein Name steht auf einem Schild am Revers – man merkt, man ist hier nicht bei einer Großbank. Umso schwerer wiegen seine Worte: »Die Sparkasse Südholstein braucht Eigenkapital.«

Die Verbindung zur HSH Nordbank könnte sich als tödlich erweisen

In ein paar Wochen schon dürfte sein Haus zu einem Fall für den Stützungsfonds der Sparkassen werden. Zum ersten sichtbaren Krisenfall im bisher so stabil scheinenden Sparkassenland. Wer hätte das gedacht? Seit Monaten lassen sich die 438 Sparkassen als Gewinner der Finanzkrise feiern. Viele Milliarden Euro flossen ihnen nach der Lehman-Pleite zu, ihr Fokus auf die Kreditvergabe am Ort galt plötzlich als Stärke, ihre biedere Arbeit als Stütze der Wirtschaft.

Bilderserie: Wo ist das ganze Geld geblieben? (Klicken um Serie zu öffnen)

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Südholstein droht dieses Bild zu zerstören, und weitere Häuser dürften folgen: Den Sparkassen gehört erstens ein guter Anteil an den Landesbanken, und deren horrende Verluste belasten die Provinzbanker. Zweitens haben sich Sparkassen eigenhändig verspekuliert, was sie teils mit Bilanzkniffen kaschieren. Und drittens erfasst die Rezession viele Kunden der Sparkassen. Deshalb wird 2009 ihr Krisenjahr.

Einige Milliarden fließen bereits ab. Viele verdienen an ihren Kunden nur wenig. Die Rendite sinkt. »Ein Drittel aller Sparkassen steht mit dem Rücken zur Wand«, sagt ein Sparkassen-Manager. »Diese Krise hinterlässt Blutspuren. Landauf. Landab.« Man muss also reisen, um Antworten zu finden: nicht nur nach Neumünster. Auch zum Chef des Sparkassenverbands in Berlin etwa, zu einem Schuldeneintreiber in Bad Homburg, einem Golfclub bei Köln.

Die Krise hat in Neumünster schon 2005 begonnen. Durch zwei Fusionen entstand die mit sechs Milliarden Euro Bilanzsumme zweitgrößte Sparkasse Schleswig-Holsteins, aktiv von Pinneberg bis Bad Segeberg. Kurz darauf stellte sich heraus, »dass Segeberg viele Leichen im Keller hatte«, sagt Arnold Wilken, SPD-Politiker am Ort und Mitglied im Verwaltungsrat der Südholsteiner. Faule Kredite verursachten Riesenverluste. In ihrer Not verkaufte Südholstein Immobilien und an den US-Fonds Lone Star sogar Kredite in Höhe von 123 Millionen Euro.

Dann kam der 15. September 2008.

Als Richard Fuld von der Investmentbank Lehman Brothers in New York Gläubigerschutz anmeldete, konnte Mario Porten von der Sparkasse Südholstein in Neumünster sieben Millionen Euro abschreiben. Als zwei Wochen später die Bank Glitnir in Island an den Staat fiel, kamen weitere Millionen hinzu. So entstanden 2008 Abschreibungen, die das Kapital der Sparkasse gefährlich senken.

Der Todesstoß droht Südholstein nun durch die HSH Nordbank. 2,8 Milliarden Euro Verlust hat die Landesbank 2008 eingefahren, das lässt ihren Wert tief sinken, und weil die 15 Sparkassen des Nordens zu fast 15 Prozent an der HSH beteiligt sind, müssen sie ihre Anteile abschreiben. Mit 700 Millionen Euro stehen Letztere in den Büchern der Sparkassen – nur 200 Millionen Euro könnten sie wert sein, wenn die Wirtschaftsprüfer demnächst ihr Urteil fällen. Der Sparkasse Südholstein drohen weitere Abschreibungen bis zu 70 Millionen Euro. Dann »ist zu befürchten, dass sie auf die Hilfe des Sparkassenverbandes zurückgreifen muss«, sagt Wolfgang Grimme, CDU-Landrat und ebenfalls ein Mitglied im Verwaltungsrat. Sonst droht ihr die Schließung.

Im Gespräch gestikuliert Mario Porten mal wild, mal guckt er entschlossen. Er braucht eine Lösung, bald. Die Kunden wissen meist von nichts. »Sorgen mache ich mir nicht«, heißt es auf der Straße.

Dem Vernehmen nach laufen im Stillen bereits Gespräche mit den Sicherungseinrichtungen. Einspringen würde erst der Stützungsfonds des Landesverbands. Reicht dieser nicht, greift der überregionale Ausgleich. »Es wird Hilfen geben«, sagt Porten. Ihm passt das nicht. »Ein Institut über Wasser zu halten ist gut und schön. Unseren öffentlichen Auftrag können wir damit aber nicht in dem Maße wahrnehmen, wie wir es für nötig halten.« Der beinhaltet soziales Engagement, Präsenz, die Finanzierung der Wirtschaft und die Stärke, dabei mehr Mut und Ausdauer zu zeigen als andere: »Selbst wenn uns der Fonds hilft, werden wir in unserer Kreditpolitik einen vorsichtigeren Kurs fahren müssen.« Wang Xues dürfte es mehr geben.

Ob eine Bank gesund ist, sagt vor allem die sogenannte Kernkapitalquote: das Verhältnis des sichersten Kapitals zum Geschäftsvolumen. Vier Prozent sind Pflicht. Acht Prozent notwendig, um gelassen neue Kredite vergeben zu können. Will die Sparkasse Südholstein dort wieder hin, braucht sie laut Kennern 130 Millionen Euro und mehr. Im Sicherungsfonds des Landesverbands steckten aber nur 85 Millionen Euro, ist in informierten Kreisen zu hören. Die Sparkasse selbst will den Einstieg der finanzstarken Holding der Hamburger Sparkasse, doch dem stehen Gesetz und Landesverband entgegen.

Südholstein droht sich woanders zu wiederholen. »Sinkt der Wert der Anteile an der HSH Nordbank massiv, hängt mehr als eine Sparkasse am Haken«, heißt es. Viele Sparkassen im Land seien »marode«, ja »praktisch pleite«. Der Landesverband weist das zurück.

Echte Pleiten oder Einlagenverluste für Kunden hat es bei Sparkassen seit dem Aufbau eines Haftungsverbunds vor mehr als 30 Jahren nicht gegeben. Angeschlagene Sparkassen wurden gestützt oder, weit öfter, durch die Fusion mit stärkeren gerettet, sodass sich die Zahl der Sparkassen im Land seit 1990 fast halbiert hat. Mitte 2008 etwa schlüpfte Meldorf bei der Sparkasse Westholstein unter und Flensburg bei der Nord-Ostsee Sparkasse – »überlebenswichtig« sei dies gewesen, gab Flensburgs Oberbürgermeister Klaus Tscheuschner zu. Die Not lässt sich auch daran ablesen, dass die Sparkassen den Landesbanken kaum helfen. In Baden-Württemberg ist der Verband nur nach langer Debatte und unter Vorbedingungen bereit, von fünf Milliarden Euro frischen Geldes 1,8 Milliarden zu tragen. In Rheinland-Pfalz zaudern sie, in NRW wollen viele Sparkassen nach einer Garantie keinen Euro mehr in die WestLB stecken. In Bayern lehnten sie eine Kapitalzufuhr offiziell ab. »Ziel war es, die Sparkassen als Partner des Mittelstands vor der Last der BayernLB zu schützen«, sagt Richard Steinbichler, Vorstandschef der Sparkasse Wasserburg am Inn. Sein Institut hätte sie schultern können, aber »einige bayerischen Sparkassen hätten zu kämpfen gehabt«. Dass alle insgesamt gut 500 Millionen Euro Abschreibungen auf die BayernLB verkraften konnten, lag auch an Geheimschatullen, die es noch gibt. »Alle müssen wir auf unsere Reserven zurückgreifen. Das ist in ganz Deutschland so«, sagt ein Vorstand.

Zum Beispiel bei der Sparkasse KölnBonn. Sie weist für 2008 einen Bilanzgewinn aus, so wie es viele Sparkassen tun. Doch wie kommen die zwei Millionen Euro zustande? Die Antwort weist weit über KölnBonn hinaus. Die Sparkasse hat mehrere Kniffe angewandt: 147 Millionen Euro entnahm sie ihrer Gewinnrücklage. 37 Millionen dem Eigenkapital. Dann nutzte sie 70 Millionen Euro Steuergutschriften. Der Jahresfehlbetrag beträgt 252 Millionen Euro, und das auch erst, nachdem zum Aufhübschen 124 Millionen Euro stille Reserven gehoben wurden. Von diesen habe man nun, nach der Entnahme von 174 Millionen Euro 2007, »so gut wie keine mehr«, sagt Finanzvorstand Ulrich Gröschel.

Wo die Sparkasse das Geld versenkt hat? »Golf Club Gut Lärchenhof« steht auf zwei Flaggen. Zwischen ihnen wehen weitere Fahnen: EU, USA, Deutschland und das Rot des Eigentümers. Das eiserne Tor öffnet sich lautlos und gibt den Blick frei auf den Parkplatz, wo ein Porsche und andere Nobelautos stehen.

Vor den Augen des Besuchers erstreckt sich wellig ein Golfkurs, durchsetzt mit Birken, Sträuchern und Teichen, ein paar Krähen spazieren übers Gras. Grau hängt eine Landschaft aus Wolken darüber, nur ab und zu blinzelt die Sonne hervor. In diesen Momenten leuchtet die goldfarbene Bärenplastik in der Nähe des Clubhauses. Selbstbewusst steht das Tier da, das Symbol von Jack »Golden Bear« Nicklaus. Dieser war einst bester Golfspieler der Welt und hat den Golfkurs angelegt. Für 31.900 Euro kann man etwas erwarten. So viel kostet maximal die lebenslange Spielberechtigung, die viele der 700 Mitglieder besitzen.

Im Innern des Clubhauses: Ruhe, zwei Regale voller Trophäen und ein Restaurant, das ein Degustationsmenü für 135 Euro anbietet. In einem Raum mit Kamin, Bücherreihe und Sessel nimmt Josef Spyth Platz. Enthusiastisch erzählt der Geschäftsführer vom Golf als Kommunikationsbörse und Demutssport. Doch nein, zu Historie und Kosten des Topclubs will er nichts sagen. Da müsse man den Eigentümer fragen – die Sparkasse KölnBonn.

Ein paar Stunden zuvor in der Zentrale ebendieser Sparkasse am Kölner Rudolfplatz: Pressekonferenz. Nein, man sage nicht, was man vor Jahren für den Golfclub bezahlt und wie viel man darauf abgeschrieben habe. Ebenso wenig, wie viel man sich aus dem geplanten Verkauf erhoffe. Mit einer Bilanzsumme von 31 Milliarden Euro sind die KölnBonner die zweitgrößte Sparkasse in Deutschland – hinter Hamburg. Ihre Zahlen für 2008 sind desaströs, doch wiederholt kommen Fragen zum Golfclub, weil es keiner fassen kann.

»Müssten sie nach Marktpreisen bilanzieren, stünden viele schlecht da«

»Das Gut Lärchenhof ist finanziell ein kleiner Aspekt, aber ein sehr symbolischer«, sagt Martin Börschel, Verwaltungsratschef und für die SPD Vorsitzender des Finanzausschusses im Kölner Stadtrat. Ein Symbol für den Größenwahn und die Misswirtschaft der früheren Führung. Die hat die Sparkasse an den Rand des Ruins gebracht mit Bauprojekten wie der Rheinparkmetropole für RTL, mit der Beteiligung an einem Immobilienkonzern und Prestigeobjekten wie dem Golfclub. »Man hat schon die Attitüde gelebt: Wir sind die größte Sparkasse der Region, wir sind eine Bank«, sagt ein Kenner der Verhältnisse. Außerdem musste die Kasse Abschreibungen auf eigene Wertpapiere vornehmen. Weitere Wertkorrekturen von 268 Millionen Euro vermied sie, indem sie Wertpapiere vom Handels- ins Anlagenbuch umwidmete. »Schwebende Marktwertverluste« nennt Gröschel diese Summe, es handle sich, natürlich, um tolle Papiere, man glaube nicht, dass die Verluste eintreten.

Fast alle Sparkassen bilanzieren nach dem deutschen Handelsgesetzbuch (HGB), nicht nach den International Financial Reporting Standards (IFRS). »Müssten die Sparkassen nach IFRS bilanzieren, zu Marktpreisen also, würden viele so schlecht dastehen wie KölnBonn«, sagt ein Kenner. Und Kapital benötigen. Das HGB hilft den Sparkassen, Verluste aus bundesweit 247 Milliarden Euro an Wertpapieren niedrig zu halten und so ihr Kapital zu schonen. Zudem erlaubt es, große stille Reserven zu bilden, die bei Bedarf den Gewinn aufhübschen helfen. Wer also die Kernkapitalquote der Sparkassen von 9,5 Prozent und ihren Gewinn 2008 von 2,5 Milliarden Euro an den schlechteren Zahlen privater Großbanken misst, vergleicht Äpfel mit Birnen. So scheint ihre relative Stärke weniger einem überlegenen Geschäftsmodell geschuldet als anderen Bilanzregeln.

Für KölnBonn steht im Warnsystem der Sparkassen die Ampel längst auf Rot, wie angeblich auch für rund drei Dutzend andere. Der Ernst der Lage verlangt den Abbau von 500 der 5300 Jobs sowie eine große Kapitalspritze von 650 Millionen Euro, um den Hauptgeldgeber des lokalen Kleingewerbes zu stützen und Spielraum für neue Firmenkredite zu eröffnen. 300 Millionen Euro steuert der regionale Sparkassenverband bei, 260 Millionen Euro die Stadt Köln und weitere 90 Millionen Euro die Stadt Bonn. Ob die Sparkasse in den nächsten Jahren Zinsen auf dieses Kapital, Gewerbesteuer oder gar Gewinnausschüttungen leisten kann, ist sehr fraglich.

Landesbanken, Größenwahn, Fehlspekulationen: Der Plagen und Sünden gibt es auch bei den Sparkassen viele. Da wiegt umso schwerer, dass nun die Rezession den Sparkassen Ausfälle bei Krediten und Kunden beschert.

»In der Anlage erhalten Sie meine EC-Karte zurück. Die Kreditkarte habe ich bereits vernichtet«, schreibt ein säumiger Schuldner am 23. November 2008. Mit 14.141 Euro und 73 Cent steckt der 61-Jährige in den Miesen, als eine Sparkasse aus dem Westfälischen die Notbremse zieht und das Konto kündigt. In seinem Brief notiert er, eine »Frau RA« habe für ihn einen Insolvenzantrag eingereicht. Die Handschrift ist geschwungen, die Buchstaben sind groß gezogen, die Sätze ziehen sich über die ganze Breite des Blatts. Das ungeübte Auge sieht, dass der Verfasser selten zum Stift greift. Das geübte Auge sieht mehr. »Es tut ihm leid. Wenn Sie 30 Jahre im Geschäft sind, erkennen Sie das«, sagt Karsten Schneider. »Allein dass er überhaupt antwortet.« Seine sonst so kräftige, kratzige Stimme klingt ein wenig leiser.

Bad Homburger Inkasso (BHI) heißt die von Schneider geführte Firma. Vor dem geistigen Auge tauchen Gestalten auf, die mit drohenden Worten Schulden eintreiben. In der Tat verheißt der erste Eindruck vom Chef Hinterhof-Flair : sehr gelbes Hemd, weiße Streifen, weißer Kragen, die Krawatte voller Gelb und Braun, Ringe an den Händen, das Büro verraucht, ein Ascher auf dem Tisch – kein Banker würde so Besuch empfangen. Doch aus den Worten Schneiders, der selbst einst bei der Sparkasse anfing, spricht Leidenschaft für die Arbeit und, ja, Verständnis.

Will eine deutsche Sparkasse hoffnungslose Schuldner oder frisch gekündigte Fälle loswerden, dann landen diese bei der BHI. Erst wenige Jahre ist sie alt, kaum bekannt, eine Art Bad Bank der Sparkassengruppe. Aber Kunden werden nicht verkauft. Kredite bleiben in der Bilanz der Institute, die BHI wickelt die Fälle nur ab. Die paar wichtigen Seiten jeder Akte werden gescannt, die Originale bunkert man in einem gut gesicherten Gebäude im nahen Oberursel. In vier Meter hohen Metallregalen, säuberlich nummeriert, voll mit 21.000 Kartonboxen und 13.000 Aktenordnern. 80 Millionen Blatt Papier. Dramen, abgelegt.

Mehr als 500.000 Fälle sind es bis dato, ein Volumen von 6,4 Milliarden Euro. Sieht man die Bilanzsumme der Sparkassen von 1071 Milliarden Euro, ist das wenig, aber Schneiders Geschäft wächst rasant. An der Wand hängt eine Deutschlandkarte voller Stecknadeln. Fast jede steht für eine Sparkasse, die den Service nutzt. Irgendwann hat Schneider aufgehört, neue hineinzustechen, es wurden zu viele. Für 225 Sparkassen und Finanzdienstleister arbeitet er heute, unter ihnen acht der zehn größten Sparkassen.

Die Rezession ist da. »Die Zahl der Insolvenzen nimmt zu«, sagt Schneider. »Das merken wir.« Etwa an den über die Sparkassen abgeschlossenen Auto-Leasingverträgen, die plötzlich platzen. Viele wurden von Transportfirmen gezeichnet, die mit dünnen Margen arbeiten und denen nun in der Krise schnell die Luft ausgeht. »Wir spüren eine Zunahme unseres Geschäfts im gewerblichen Bereich«, sagt Schneider. »Bei Privatkunden erwarten wir Richtung Herbst eine Zunahme der Problemfälle. Dann werden viele Unternehmen die Kurzarbeit beenden und Leute entlassen.« Demnächst zieht die BHI um. »Wir müssen uns vergrößern«, sagt Schneider. Die Zahl der Mitarbeiter – aktuell 130 – wird sich um bis zu 30 erhöhen, das Callcenter legt stark zu.

Private Schuldner ohne Sicherheiten anschreiben, nachhaken, Monatsraten vorschlagen, oft 50 Euro, mitunter nur 20 oder 5 Euro – das ist bei der BHI das Massengeschäft. Ruhig hingegen geht es in den Büros zu, in denen jeweils nur zwei oder drei Menschen sitzen und die schwierigen Fälle bearbeiten, viele davon Firmenpleiten. Da geht es dann um fünf oder zehn Millionen, um Sicherheiten und hakelige Verhandlungen mit dem Insolvenzverwalter.

Intern erwartet die Sparkassengruppe für 2009 nur Wertberichtigungen auf Kredite von 3,2 Milliarden Euro. Ein Topmann merkt an: »Was jetzt da draußen geschieht, sehen wir erst in zwei Jahren in der Bilanz.« Als Ausgleich hofft man auf sinkende Wertberichtigungen auf Wertpapiere. Ein Sparkässler sagt, dass Sparkassen oft Firmen akzeptieren, die alle anderen zuvor abgelehnt haben. »Diese Unternehmen nimmt uns keiner mehr ab. Wir Sparkassen bleiben immer auf unseren Risiken sitzen und haben immer höhere Wertberichtigungen.« Da komme noch einiges, heißt es in Kreisen der Aufsicht.

Mitte vergangener Woche tritt der Mann, der das ganz anders sehen muss, aufs Podium. Heinrich Haasis, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Netzwerker und Vieltelefonierer, nestelt an seinem Handy, die linke Hand lässig in der Hosentasche. Er öffnet eine Flasche Wasser, setzt sich. Es ist sein Auftritt, die Jahrespressekonferenz, wie in den Jahren vorher im 44. Stockwerk der DekaBank, des Fondsanbieters der Sparkassengruppe. Durchs Fenster kann Haasis die eingerüsteten, skelettierten Silbertürme der Deutschen Bank sehen, und mehr als je dürfte er sich auf Augenhöhe mit dem nationalen Primus wähnen. »Die Sparkassen dürften zu den wenigen Kreditinstituten weltweit gehören, die 2008 einen Milliardengewinn erwirtschaftet haben«, sagt er. Die Commerzbank und andere im Hinterkopf, fügt er an: »Während andere Finanzmittel des Staates benötigen, zahlen die Sparkassen sogar in Milliardenhöhe Steuern. Und darauf sind wir auch stolz.« Haasis, ein knorriger Mann von 63 Jahren, spricht ruhig, mit seiner unverkennbaren schwäbischen Färbung. Die Genugtuung ist zu spüren.

Lange waren die privaten Banken herablassend, jetzt sind die Sparkassen wieder wer. »Ich bin mir ganz sicher, dass wir das Vertrauen der Menschen und das gute Image behalten«, sagt Haasis im Gespräch. »Die Leute werden nicht so schnell vergessen. Der Wunsch nach Sicherheit wird bleiben.« Wertberichtigungen aus der Realwirtschaft werde es geben, ja. »Die tun weh, sind aber verkraftbar«, sagt er. Seine Institute sieht er nicht gefährdet: »Wir werden keine Zwangsfusionen oder Notheiraten sehen. Höchstens in Einzelfällen.« Einen Stützungsfall fürchtet er, ohne dass er Südholstein erwähnt. Schmerzlich seien die Lasten der Landesbanken, aber viele Verbände hätten den Wert ihrer Anteile immer niedrig angesetzt – »Gott sei Dank!«.

Es ist das Idealbild von der sauberen, sicheren, einlagenstarken, dem Standort verpflichteten Sparkasse, das Heinrich Haasis pflegt. Das Bild, in dem Südholstein oder KölnBonn nur Ausnahmen darstellen. Was aber ist mit dem Skandal um den Promi Franjo Pooth bei der Sparkasse Düsseldorf? Was mit der Nassauischen Sparkasse in Wiesbaden, der ihr Landesverband ein Wertpapierportfolio von 4,2 Milliarden Euro in Dublin abnehmen musste? Was ist mit der in Turbulenzen geratenen Sparkasse Leipzig? Wie viele Ausnahmen braucht es, um aus Einzelfällen ein Massenphänomen zu machen?

Sicher sind in jedem Fall die Kundeneinlagen. Doch die Bedeutung einer Sparkasse für ihre Kommune geht übers Girokonto hinaus. Südholstein etwa fördert mit 1,1 Millionen Euro jährlich Gutes. So wie in Neumünster, wenige Hundert Meter von der Zentrale entfernt: Die Tafel bietet kostenloses Essen, täglich Platz zum Spielen oder Hilfe bei den Hausaufgaben. »Mal kommen fünf Kinder am Tag, mal 40 Kinder«, sagt Leiterin Christina Arpe. Die Sparkasse bezahlt im Jahr 1000 Euro, neulich gab es 5000 Euro extra für ein Kühlfahrzeug. Sicher ist davon nichts. »Eine ertragsschwache Sparkasse kann ihre Stiftung nicht aufstocken«, sagt Landrat Grimme. »Stiften und sponsern kann eine Sparkasse erst, wenn sie zuvor Geld verdient hat.« Der Chef sorgt sich: »2009 werden wir unser soziales Engagement nicht einschränken«, sagt Mario Porten. »Was danach geschieht, darüber wage ich keine Prognose.«

2 Antworten to “Deutschland: „Viele Sparkassen im Land sind faktisch pleite“…”

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