Chronologie der Krise

Wie aus einer Immobilienblase eine Weltwirtschaftskrise wurde…

Lehman Brothers: Wie die Finanzkrise nach Bad Vilbel kam…

Posted by hw71 - 28. September 2008


Tja, da denkt man, man hat sein Geld „sicher“ bei der hiesigen Sparkasse angelegt – und stellt dann erschrocken fest, dass das Geld vermutlich futsch ist…

Gefunden bei fr-online.de:

Lehman Brothers

Wie die Finanzkrise nach Bad Vilbel kam

VON BERND SALZMANN

Am Montag, dem 15. September, auf die Minute genau um 8.30 Uhr, kam die Finanzkrise von der Wall Street in der hessischen Kleinstadt Bad Vilbel an. Dieter Höttges (Name von der Red. geändert) schaltete wie üblich seinen Computer an und informierte sich im Internet über die neusten Nachrichten.

Die Hiobsbotschaft erschien gleich an erster Stelle: Die US-Investmentbank Lehman Brothers hatte Gläubigerschutz beantragt. Seither bangt Höttges um einen großen Teil seines Vermögens. Ob er davon auch nur einen Euro wiedersehen wird, kann niemand genau sagen. Bis hin zum Totalverlust ist alles möglich.

Noch im vorigen Jahr kannte der 52-Jährige die US-Investmentbank Lehman Brothers gar nicht. Erst Mitte März, nachdem er bei der Frankfurter Sparkasse für insgesamt 20.000 Euro Bonus- und Kuponzertifikate mit hohen Renditechancen erworben hatte und die Auftragsbestätigung in Händen hielt, wurde ihm klar, dass er sein Geld einer Investmentbank anvertraut hatte – und nicht der Sparkasse.

Die hatte zwar mit Namen und Logo auf der Titelseite des Prospekts mit dem Slogan „Der neue Star Bond“ für die Zertifikate geworben, doch von Lehman und dem Emittentenrisiko („Die Rückzahlung am Ende der Laufzeit hängt von der Bonität der Emittentin bzw. Garantin ab“) war erst im Kleingedruckten auf Seite acht die Rede.

Nun ist Höttges stocksauer auf die Sparkasse. „20.000 Euro lösen sich in Luft auf. Das ist nicht verkraftbar für mich“, sagt er. Höttges hatte erst im vergangenen Jahr seinen Arbeitsplatz wechseln müssen. Die 20.000 Euro sind ein Teil der Abfindung.

Im Beratungsgespräch habe es „nie einen Hinweis gegeben, dass diese Zertifikate durch nichts abgesichert sind“, behauptet er, was in der Sparkassen-Zentrale keiner so recht glauben will. Dabei sei er doch „extra zu einer Sparkasse und nicht zu irgendeiner Bude“ gegangen. Die habe für ihn bis heute als verlässlicher Partner gegolten, der vorsichtig mit dem Geld seiner Kunden umgeht: „Ich wollte alles, nur kein Risiko eingehen. Das habe ich auch gesagt“.

Zehntausende haben Lehman-Zertifikate

Höttges ist bei weitem kein Einzelfall. „Unserer Schätzung nach haben Zehntausende Anleger in den letzten Monaten Lehman-Zertifikate gekauft“, sagt Volker Pietsch vom Deutschen Institut für Anlegerschutz.

Zertifikate sind unregulierte Finanzprodukte, die nach dem Platzen der Technologieblase populär wurden. Bis heute weigert sich der Gesetzgeber standhaft, diese Produkte analog zu Investmentfonds zu regulieren. Dabei sind Zertifikate nichts anderes als eine Hülle, genau wie Fonds.

Der große Unterschied: Es handelt sich nicht um ein Sondervermögen wie bei Fonds, das im Fall einer Pleite geschützt ist, sondern um ganz normale Bankschuldverschreibungen. Das heißt, der Anleger gewährt der Bank, die das Zertifikat herausgibt, Kredit.

Doch das war nicht nur den Sparkassen einerlei: Für den Vertrieb strukturierter Produkte der US-Investmentbank war sich kaum ein Kreditinstitut in Deutschland zu schade. Lehman galt als Top-Adresse, verfügte selbst kurz vor dem Offenbarungseid noch über gute Noten der Ratingagenturen.

Lehman taucht aber meist erst im Kleingedruckten vieler deutscher Häuser als „Emittentin“, „Garantiegeber“ oder „Referenzunternehmen“ auf, bei Großbanken, Genossenschaftsbanken und eben den Sparkassen, dem Marktführer im Geschäft mit Privatkunden.

Dass alle bei einem Zusammenbruch von Lehman zuschauen würden, damit hatten auch die Finanzmarktprofis nicht gerechnet. Noch am 9. September, also nicht einmal eine Woche vor der Bekanntgabe des Gläubigerschutzantrags, mailte die Beraterin von Höttges an ihren mittlerweile besorgten Kunden: „Wir gehen derzeit jedoch nicht von nicht von Schwierigkeiten bezüglich eines Zahlungsausfalls aus“. Die Rettungsaktion für die Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac wirkte offenbar wie Beruhigungstabletten.

Berater versicherte „hoch und heilig“: keine Risikopapiere
„Die meisten Kunden wissen womöglich noch gar nicht, dass sie von der Lehman-Pleite betroffen sind. Die denken, sie haben das von der Sparkasse“, sagt ein Beobachter der Branche. Da die Sparkassen für sich in Anspruch nehmen, solider als andere mit dem Geld ihrer Kunden umzugehen, müssen sie nun mit einem Vertrauensverlust rechnen. „Das ist unser größtes Kommunikationsproblem in nächster Zeit. Daraus entsteht ein großer Reputationsschaden“, prophezeit ein Insider.

Else Schüler (Name von der Redaktion geändert) zählt zu diesen Enttäuschten. Die betagte Dame aus Frankfurt war von der Dresdner Bank zur Sparkasse gewechselt, weil die Großbank sie vor einigen Jahren „zum Kauf von Aktien und Fonds überredet“ hatte.

Die bald darauf folgende Talfahrt an den Märkten kostete sie damals ein kleines Vermögen, ihre Altersvorsorge. Nun fürchtet sie ein Déjà-vu-Erlebnis. Dabei habe ihr Berater doch „hoch und heilig versichert, dass das keine Risikopapiere sind“, sagt sie. Ihre Tochter bestätigt das, sie war bei dem Gespräch dabei: „Wir haben explizit danach gefragt.“

Als Dieter Höttges aus Bad Vilbel von der Sparkasse in einem siebenseitigen Standardschreiben am vergangenen Freitag informiert wurde, „dass die Rückzahlung der Zertifikate gefährdet ist“, war der Präsident des deutschen Sparkassen- und Giroverbands, Heinrich Haasis, gerade auf einer Kundenveranstaltung in Göppingen unterwegs.

Dort beschwor er „den Abschied von einem anglo-amerikanisch geprägten Glauben an die Überlegenheit der Kapitalmärkte“ und pries die Vorteile der Sparkassen in der Finanzkrise. „Sie haben Geschäfte gemacht, die man beherrscht, mit Leuten, die man kennt“, sagte er.

Else Schüler will nun gemeinsam mit Tochter Esther ein ernstes Wörtchen mit ihrem Sparkassen-Berater sprechen. Dieter Höttges war bereits bei einem Anwalt. Der habe ihm geraten, von der Sparkasse sein Geld zurückzufordern. „Und wissen Sie was“, sagt er, „genau das werde ich tun.“

Eine Antwort to “Lehman Brothers: Wie die Finanzkrise nach Bad Vilbel kam…”

  1. […] dürfte inzwischen mitbekommen haben (vielleicht weil ihm sein Bankberater zum Kauf von Lehman Zertifikaten geraten hat), dass eine globale Finanzkrise existiert. Mittlerweile ist klar, dass sich diese Krise […]

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